Thiedes Geschichten lassen den Fluss seiner Gedanken weiter fließen

LIST, SYLT / IM SEPTEMBER 2019

"Weststrandhalle - Wonnemeyer auf Sylt" - 13. September 2019 / Foto: Katrin Richter

Foto links: Vor Helmuts Strandhütte - 8. September 2019 / Foto rechts: Muschelesser bei "Wonnemeyer" - 12. September 2019 / Fotos: Katrin Richter


WANN KOMMT UNSER SOMMERWIND?

Gespräch Nr. 1/2017: HELMUT DER STRANDKORBWÄCHTER

Es war im Spätsommer 2017, eine leichte, milde Brise kam aus SÜDWEST und - es war unser ersehnter SOMMERWIND. Wir lagen im noch warmen, weißen Sand der Nordsee vor Strandkorb 113 und träumten von Freiheit und hatten viel Frohsinn. Endlich kam der Langersehnte über das so träge dahin plätschernde und silbergrün schimmernde weite Meer. ER schmeichelte sanft unsere dunkel gebräunten Körper und sang leise seine uns schon lange bekannten himmlischen Melodien. Er brachte uns aber auch die Botschaft, dass die Badesaison so langsam dem Ende zuging und bald der erste Herbststurm sich ankündigen werde.

Helmut, unser Strandkorbwächter, den wir jedes Jahr mit großer Freude begrüßten, hatte in den Jahren viel gelesen, auch meine Favoriten wie Hesse bzw. Kafka; und er kennt sich gut aus über Land und Leute im fernen Nepal. Wenn es auf Sylt in List, in der Badesaison regnet, und das ist nicht selten, hat Helmut den einsamen Strand für sich allein und dann sitzt er in seiner Bude und liest. Ja, ehrlich gesagt, da könnte man als Leseratte neidisch werden. Natürlich ist er nicht ganz allein, zwei saisonal angestellte Rettungsschimmer - sie strickt Pudelmützen und er beobachtet und studiert die reichliche Tierwelt. Im Winter sind sie in der Südsee und zeigen den unsportlichen Deutschen wie man ein Surfbrett ins Wasser bringt. Natürlich Unterkunft im 5-Sterne-Hotel ist Bedingung! Noch Fragen?

Doch zurück zu Helmut. Er bereitete langsam, aber zielsicher, seine weißblauen Strandkörbe von 110 bis 240 zum Abtransport ins Winterquartier vor. Nach dem er sein Tagespensum, nach vorgegeben Zeitplan, geschafft hatte, saß er vor seiner Hütte zufrieden auf seiner Holzbank mit geschlossenen Augen. Die Mütze tief in die Stirn gezogen. In der Badesaison fährt er Tag für Tag mit dem Fahrrad insgesamt 34 Kilometer von Tinnum bis zu seiner Strandbude am Meer und abends wieder zurück. Hier am Meer lebt er in seiner anderen Welt. Wenn er seine Augen öffnet, wie damals im Spätsommer 2017, schaut er Dich mit seinen blauen Augen voller Sanftmut an; er spricht mit Dir leise uns seine Körperhaltung hat etwas meditativ Zurückhaltendes. Ich glaube er hat in den letzten Jahren am Meer und in seiner Holzbude die Sprache und den Gesang des Meeres erlernt. So wie damals Siddhartha vor seiner Hütte abends saß, nach dem er den Letzten des Tages als Fährmann gemäß dem Ruf „Hol’ Rüber“, von einem Ufer seines Flusses zum anderen gerudert hatte. Und nun voller Zufriedenheit im völligen Einklang mit dem Fluss, seinen immer wiederkehrenden Erzählungen, Erfahrungen und Weisheiten in sich aufnahm.

Nachdem wir lange schweigend auf seiner Holzbank dicht zusammen saßen, ging er in seine Hütte und machte Tee. Nach der dritten Tasse fragte ich ihn nach seinen Tagträumen, wenn er in der Hütte auf seinem einzigen Holzstuhl sitzt; draußen das Meer mit Windstärke 9/10 seine Lieder, von weit her, singt. Nach einer langen Pause des Schweigens, sagte er leise, „oft träume ich von Nepal, insbesondere von dem Gebiet der unendlich vielen Treppen – das Annapurna-Gebiet - wo die Vegetation sehr vielfältig ist.“ „Katrin stellt Dir eine erfahrende Tour zusammen, sie hat Annapurna mehrmals durchwandert.“ „Ja, das ist sehr lieb von Ihr, aber Nepal ist sehr weit und für einen Strandwärter sehr teuer.“

Und Du? Fragte er, nachdem er lange vor sich hingeschaut hatte. Ach - ich träume immer nur von Marrakesch – wenn jeden Abend auf dem grossen Hauptplatz der Stadt – Platz der Gaukler - die vielen Zelte aufgebaut werden und aus unendlich vielen Töpfen und Pfannen die vielfältigsten Gerüche aus Tausend und einer Nacht all meine Sinne verzaubern. Ja, aber Marrakesch ist auch für mich sehr weit!

Weißt Du, wir sind sehr glücklich, wenn wir jedes Jahr aufs Neue unseren Sommerwind bei Dir erleben dürfen, wie heute am letzten Tag des Urlaubes.

MITTWOCH, 18. September 2019 / 16 UHR K.J.